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  1. Scalla, M.: Bilder sehen Dich an : Horst Bredekamp auf den Spuren von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (2005) 0.01
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    Content
    "Als Colin Powell im Februar 2003 im Gebäude der Vereinten Nationen in New York saß und die Weltöffentlichkeit von der Notwendigkeit eines Krieges überzeugen wollte, hing hinter ihm ein Wandteppich mit den Motiven von Picassos "Guernica". Allerdings konnte ihn niemand sehen; er wurde verhängt, denn natürlich hätten die berühmten Szenen ausgesprochen kontraproduktiv gewirkt. Die große Weltmacht hatte Angst vor einem Bild, und diese Angst führt mitten hinein in die Gemengelage um aktuelle Bilderkämpfe und hin zu Fragen, wie in diesem "Iconoclash", diesem Krieg der Bilder, die friedensstiftende Vernunft gestärkt werden kann. Nichts anderes war der Versuch des Berliner Kunsthistorikers Horst Bredekamp 2007 bei den Adorno-Vorlesungen, die nun als Buch herausgekommen sind. Bredekamp will aufklären - und er möchte Horkheimers und Adornos "Dialektik der Aufklärung", die noch nichts von einem "Iconic turn" wissen konnte, fortschreiben. Zu diesem Zweck nimmt er eine "lebendige Eigenkraft des Bildes" an. Dieses ist körperlich zu spüren. Es blickt den Betrachter nicht nur an, vielmehr entfaltet es, wie der amerikanische Bildtheoretiker W.J.T. Mitchell es formulierte, einen "Medusa-Effekt": Es möchte aus dem Betrachter wiederum ein Bild für den eigenen Blick machen. Diese Fähigkeit des Bildes hat in der Geschichte häufig zu ikonoklastischen Aktionen geführt. Die Taliban etwa wehrten sich militant gegen die Bildkraft und zerstörten Buddha-Statuen. Aber auch das Gegenteil, die Idolatrie, ist ein heimtückischer Gegner. Bilder werden Bredekamp zufolge zu "Primärwaffen", wenn Terrorkrieger Soldaten der Gegenseite exekutieren, nur um Videos von dieser Tat zu drehen und auf westlichen Bildschirmen Furcht und Schrecken verbreiten zu können.
    Zwischen den Extremen muss also vermittelt, ein Maß gefunden werden. Bredekamp hat einen besonderen und theoretisch herausragenden Weg gefunden. Angelehnt an die Sprechakttheorie von John Austin und John Searle entwickelt er eine Theorie des Bildaktes, in der er drei Bildakte untescheidet: den schematischen, den substitutiven und den intrinsischen. Ersterer bezeichnet die Verbindung von Bild und Körper, wie sie in den Tableaux vivants oder in den modernen Visionen, in denen sich Menschen mit Maschinen verbinden, erscheinen; der zweite Bildakt dreht sich um den Austausch von Bild und Körper und reicht vom Abbild Christi im Tuch bis zu gegenwärtigen Bilderstürmen. Der dritte Bildakt ist derjenige, der der Aufklärung den Weg weisen könnte. Dieser Akt führt, ganz auf der Linie Adornos, über die Form. Durch die Wahl einer bestimmten Form gewinnen Bilder oder Zeichnungen eine Kraft, die nur aus ihnen selbst kommt - daher der Ausdruck "intrinsisch" - und keiner Autorintention oder eines sonstigen äußeren Anstoßes bedarf. Sie wurde hergestellt, steckt aber ausschließlich im Werk selber. Als Charles Darwin die Evolution in der Gestalt eines Baumes visualisierte, gewann das Bild schnell eine Eigendynamik, wurde populär und verstellte letztlich die Vorstellung von der Evolution als einem komplexen, von vielen Faktoren abhängenden Prozess. Nicht minder einflussreich war das Bild der Doppelhelix, deren Form sich aus einer Zeichnung von Odile Crick, der Frau des Entdeckers der DNA, Francis Crick, herleitet. Es beherrschte aufgrund der Bildkraft die Vorstellung weit über die Fachgrenzen hinweg - und hat doch nicht sehr viel mit der biologischen Realität zu tun.
    Diese "lebendige Eigenkraft" der Bilder kann gefährlich, kann auch lästig werden, wenn sie zu unzulässiger Simplifizierung führt. Unschädlich lässt sie sich auf keinen Fall mehr machen, denn Bredekamp verortet sie bereits in frühen menschlichen Kulturen und erklärt sie zu einer anthropologischen Konstante. Verständnis und Distanz sind die Losungsworte des Wissenschaftlers. Die Menschen sollen Distanz gegenüber ihren autonomen Artefakten gewinnen. Wenn sie das schaffen, gilt: "Das Ich wird stärker, wenn es sich gegenüber der Aktivität des Bildes relativiert." Bredekamps Theorie hat unbestreitbar rationalisierende Effekte im Bilderkrieg. Doch ob das hier wahrlich nicht zum ersten Mal bemühte Ego das letzte Wort sein kann, ist eine offene Frage. Das wäre mehr "Minima moralia" als "Dialektik der Aufklärung". Wer soll dieses Ich sein? Der kunstgebildete Museumsbesucher, der Fälle von Idolatrie in der Gegenwart sofort entziffert? Der immun ist gegenüber ikonoklastischen Versuchungen? Oder ergibt sich aus dieser Theorie ein gesellschaftskritischer Ansatzpunkt, der institutionelle Hinweise für Museen, Medien oder Gesetzgeber enthält? Schließlich ist nicht nur die Moderne, sondern auch die Aufklärung ein unvollendetes Projekt." Besprechungsaufsatz zu: Bredekamp, H. Theorie des Bildakts. Frankfurt: Suhrkamp 2010.
  2. Scalla, M.: Auf der Phantom-Spur : Georges Didi-Hubermans neues Standardwerk über Aby Warburg (2006) 0.01
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    "Der Bildtheoretiker Georges Didi-Huberman hat sich viel vorgenommen: Er will ein Phantom beschreiben. Wer so etwas beginnt, möchte das flüchtige Wesen am Ende auch zuverlässig dingfest machen. In seiner Studie über den Hamburger Kunstwissenschaftler Aby Warburg leistet Didi-Huberman beeindruckende Rekonstruktionsarbeit - aber am Ende trägt das Phantom den Sieg davon. Didi-Hubermans Buch kann als Standardwerk das bisherige des Warburg-Schülers Erwin Panofsky ablösen, und doch bleibt der einflussreiche Intellektuelle Warburg schwer zu fassen. Warburgs zentrale Begriffe, wie "bewegtes Beiwerk" oder "Pathosformel", wurden in den vergangenen Jahrzehnten häufig zitiert, aber wie es so ist, wenn Wörter und Termini inflationär gebraucht werden, verflüchtigt sich bald der Gehalt - zumal im Falle Warburgs wenig Hemmnisse in Form stabiler Rezeptionsmuster, Werkausgaben oder einer gesicherten Tradierung seiner Grundthesen vorliegen. Immerhin gibt es mittlerweile einen Band mit Warburgs Schriften, der zwar nicht alles, aber das meiste Wichtige enthält (Suhrkamp Verlag). Darüber hinaus besteht Warburgs Werk nach wie vor aus Manuskripten, Notaten, Entwürfen, Essays sowie einem "Mnemosyne"-Atlas mit etwa 1500 Fotografien von Bildern unklarer Anordnung - ein riesiges Archiv für die Nachwelt, die sich einen ganz eigenen Reim auf die jeweiligen Trouvaillen machen kann.
    Didi-Huberman liefert eine grundsolide Rekonstruktion von Warburgs Methode der Bildanalyse. Er erklärt, warum dessen kunsttheoretische Arbeiten zur Florentiner Renaissance bereits bei ihrem Erscheinen seit Ende des 19. Jahrhunderts als bahnbrechend galten: Sie erweiterten die Grenzen des Fachs Kunstgeschichte durch eine kulturhistorische Perspektive, als noch tout le monde sich auf eine rein ästhetische Einflusshistorie kaprizierte. Ohne weiteres wird klar, warum Warburg (1866-1929) in den 1990er Jahren, als eine neue Bildwissenschaft und ihr "iconic turn" vollends die Fachgrenzen in Frage stellten und der neumedialen Bildproduktion mit kunsthistorischer Qualifikation zu Leibe rückten, zum Fixstern aufstieg. Walter Benjamin entdeckte in der Welt der Pariser Passagen eine Erscheinung, anhand deren er eine Gesellschaftstheorie wie eine Geschichtsphilosophie entfalten konnte. Aby Warburg versenkte sich in das "bewegte Beiwerk", den Faltenwurf von Gewändern oder die von Windstößen aufgewühlten Haare in den Bildern der frühen Florentiner Renaissance, vor allem in Botticellis "Geburt der Venus" und "Frühling". Didi-Huberman weist detailliert nach, wie Warburg darin zunächst ein konkretes "Nachleben der Antike" in der Renaissance entschlüsselt. Das allein wäre nicht sonderlich überraschend. Den Zeitgenossen müsste jedoch die Einsicht missfallen haben, dass ihre Vorstellung vom Renaissance-Menschen als säkularem, rationalem homo faber nur eine Projektion der eigenen Epoche war.
    Warburg mokiert sich über den Reisetypus des "Übermenschen in den Osterferien, mit Zarathustra in der Tasche seines Lodenmantels". Wo ein Nietzscheaner vermutet wurde, residierte ein braver Florentiner Bürger, der in seiner Kapelle zu Gott betete und sich die Glaubensstätte durch qualifizierte Malfachkräfte ausschmücken ließ. Der Autor rekapituliert philologisch die Begriffe, auf die sich Warburgs Denken fokussieren lässt: Nachleben, Dynamogramm, Einfühlung, Pathosformel. Das Phantom gewinnt Konturen. Der Begriff Nachleben etwa bezeichnet hier eben nicht nur ein Bildmotiv, eine Geste, die früher schon einmal da war, eine Zeit lang verschwand, und auf einmal in den Kunstwerken wiederkehrt - wie es innerhalb der bürgerlich-linearen, an einem Fortschrittsbegriff orientierten Geschichtsmodelle interpretiert wurde: "Nachleben bedeutet für ihn nichts anderes als eine Erhöhung der Komplexität geschichtlicher Zeit, die Wahrnehmung spezifischer, nichtnatürlicher Zeiten in der Welt der Kultur." Diese Komplexität versucht Didi-Huberman durch Wendungen wie "Verschlingung", "wimmelnder Schlangenhaufen" oder "Dynamographie verschlungener Polaritäten" auszudrücken. Das klingt nach französischem Begriffszauber - auch die notorischen Rhizome arbeiten sich hier wieder durch den Text -, doch durch den Wirbel hindurch gelingt ein erkenntnisfördernder Blick auf ein heute noch faszinierendes Werk. Wenige Kunsthistoriker haben vergleichbar die sinnliche Dimension von Gemälden zu erspüren und erfassen gesucht. Für eine Zeit, die vom menschlichen Körper fasziniert, zuweilen sogar besessen ist, sind Warburgs Texte ein einzigartiger Bezugspunkt. Wenn am Ende dem Phantom Warburg der Sieg über den Interpreten Didi-Huberman gelingt, liegt das am "Bildhintergrund". Der zeithistorische Hintergrund verblasst nämlich in diesem Buch, die Lage des deutschen Bürgertums vor dem Ersten Weltkrieg oder in der jungen Weimarer Republik tritt nur schemenhaft zutage. So bleiben die Konturen unscharf, und das Phantom kann weiter durch die Zeiten geistern."
    Footnote
    Vgl.: http://www.fr-online.de/kultur/literatur/auf-der-phantom-spur/-/1472266/5062826/-/index.html. Besprechungsaufsatz zu: Didi-Huberman, Georges: Das Nachleben der Bilder: Kunstgeschichte und Phantomzeit nach Aby Warburg. Frankfurt: Suhrkamp 2010.

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