HBZ: Aufbruch in den Suchraum (2007)
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- ""Der Weltsuchende zieht am Narrenseil", wusste Angelus Silesius im 17. Jahrhundert. Heute ist es nicht anders, unser Narrenseil ist die Internet-Suchmaschine. Dort fördert eine Frage nach dem Barockdichter weit über 100.000 Verweise zu Tage. Ausreichend wären schon die ersten zwei Dutzend. Unter anderem finden sich hier der Text des "Cherubinischen Wandersmannes", eine Kurzbiographie des Angelus und ein Antiquariat, das ein paar "dilettantisch geklebte" und "schwach stockfleckige" Insel-Bände aus dem frühen 20. Jahrhundert anbietet. Daran schließt sich die Narretei an: Zu welcher Stelle im Internet führt wohl Suchergebnis 85.493? Angezeigt werden lediglich die ersten tausend Fundstellen. Wer besucht Seiten mit seltsamen Titeln wie "The Square of Opposition: Mysticism" oder "Geist und Gnade Frühling 2000"? Wen interessiert es, dass die Universität Berkeley laut eines frei verfügbaren Anschaffungsverzeichnisses den Band "Von Gottes und des Menschen Wesen" im November 2004 angeschafft hat? Recherche für die Wissenschaft Eines ist klar: Wer wissenschaftliche Informationen und Fachliteratur sucht, kommt mit einer herkömmlichen Internet-Suchmaschine nicht weit. Er weiß meist schon, wer der Autor ist und kennt das Werk. Die Germanistikstudentin Karin Warner zum Beispiel sucht nach der Erstausgabe von "Heilige Seelen-Lust". Sie nutzt dafür den Dreiländerkatalog, der die Bestände zahlreicher Bibliotheken aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erfasst. Der Katalog zeigt sofort mehr als ein Dutzend Fundstellen an. Auch auf die originale Erstausgabe wird verwiesen, sie liegt in der Kölner Universitätsbibliothek - und ist zu wertvoll für die Ausleihe. Doch die Studentin findet ebenfalls einen Verweis auf die Faksimileausgabe des Erstdrucks, die sie sich per Fernleihe beim "Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik" der Uni Münster bestellt. In diesem Fall konnte der übergreifende Buchkatalog helfen. Doch es wären einerseits seltenere Werke denkbar und anderseits umfassendere Aufgaben. Wer etwa Sekundärliteratur zur Arbeit des wissenschaftlichen Außenseiters Fritz-Albert Popp lesen will, bekommt vom Dreiländerkatalog außer einigen populärwissenschaftlichen Büchern nicht viel angezeigt. Auch ein Verweis auf Webseiten oder Fachdatenbanken fehlt. Hier ist also noch vieles wünsch- und denkbar.
Wünsche an die Supersuchmaschine Ein erster Wunsch aus Lesersicht lautet: Endlich her mit dem Gesamtkatalog aller deutschsprachigen Bibliotheken inklusive sämtlicher Artikel der Wissenschaftszeitschriften. Und es sollten auch gleich die Inhaltsverzeichnisse der Bücher mit rein, sowie ein paar Leseproben und was die deutschen Verlage sonst noch kostenlos im Internet anbieten. Noch ein Wunsch: Schön wäre ein Zugriff auf die Bestände der Pressearchive, die bis in die 1990er Jahre zurückreichen. Und ebenso auf Fachdatenbanken wie die ECONIS-Bibliographie der Wirtschaftswissenschaftler oder die Bestände der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin. Auch das so genannte "Deep Web" gehört in diese Supersuchmaschine: Diejenigen wissenschaftlichen Fachdatenbanken, die z.B. im vascoda-Projekt zusammengetragen werden und die bei herkömmlichen Internet-Suchmaschinen in der Regel nicht erscheinen. In der Realität existiert eine solche virtuelle Metabibliothek wenigstens schon in den Anfängen. Der Dreiländerkatalog des hbz und das Wissenschaftsportal vascoda sind ein großer Schritt auf dem Weg zu etwas, das sich am besten mit "gemeinsamer Suchraum" umschreiben lässt. Technisch gesehen ist er ein riesiger Index ausgewählter und auf Qualität geprüfter Datenquellen, der auf eine Anfrage innerhalb von Millisekunden Ergebnisse auswirft. Ausblick auf den Suchraum Der Suchraum fasst mithilfe modernster Suchmaschinentechnologie die Daten der beteiligten Datenquellen zu einem optimierten Index zusammen, der sehr schnell durchsucht werden kann. Er verbindet dadurch zwei Vorteile: Die Benutzer müssen nur noch eine Datenbasis durchsuchen und erhalten die Ergebnisse bereits nach wenigen Millisekunden. Aus der Sicht der Benutzer ist er eine rein wissenschaftliche Suchmaschine. Diese liefert als zentrale Anlaufstelle relevante Informationen, die diesen Ehrentitel auch verdienen: Wo sind die Erstdrucke archiviert, in welchen Zeitschriften sind Forschungstexte erschienen, bei welchen Bibliotheken finde ich die Fachliteratur, welche Websites informieren über den aktuellen Forschungsstand, wo gibt es Diskussionslisten oder vielleicht sogar einen dem Thema gewidmeten Lehrstuhl? Dank einer Anbindung an die vorhandene Portal-Lösung "DigiBib - Die Digitale Bibliothek" kann die Literatur direkt oder per Fernleihe in der hiesigen Bibliothek bestellt werden - auch Aufsätze aus Zeitschriften. Der Kauf im Buchhandel ist ebenso möglich wie eine automatische Abrechnung von Gebühren, denn einige Datendienste sind kostenpflichtig. Der Software für den gemeinsamen Suchraum ist außerdem bekannt, ob der Anwender alle Inhalte nutzen darf und ob er nur bestimmte Dokumente abrufen kann.
Technik als Voraussetzung Zurzeit ist das noch Zukunftsmusik. Wer eine wirklich umfassende wissenschaftliche Recherche im Internet startet, muss neben dem Dreiländerkatalog und vascoda.de wenigstens die Portale verschiedener Anbieter von Zeitschriften und Datenbanken wie Elsevier, STN International oder Genios besuchen. Außerdem ist es hilfreich, direkt bei Forschungsinstituten und Unis nach dem gewünschten Thema zu suchen. Bis zum Erreichen des Suchraums liegen noch viele Hindernisse auf dem Weg. Die technischen Hürden sind dabei beinahe am leichtesten zu überwinden: Die Software ist prinzipiell bereits vorhanden. Es ist eine Standardsuchmaschine, die speziell an die Erfordernisse des Suchraums angepasst wird. Ergänzt wird diese Maschine durch allerlei An- und Aufbauten, die eine komfortable Bestellung ermöglichen, Benutzerkonten für lizenzierte Fachdatenbanken führen und eine einfache Benutzeroberfläche im Web anbieten. Also reichen ein Dutzend Programmierer und ein paar Monate Zeit, und der Suchraum ist aufgebaut? Leider nein, etwas Wichtiges fehlt ihm noch: Die Möblierung mit Bibliotheks- und Fachdatenbanken sowie den Datenbeständen aus dem Deep Web. Hierbei sind immer möglichst alle Datenquellen dieser Art gemeint - ein erster Hinweis auf eine wichtige Voraussetzung. Kooperation als Notwendigkeit Der gemeinsame Suchraum kann nur durch eine - inhaltlich und geografisch - weiträumige Kooperation der Universitäten, Bibliotheken, Verlage und anderer Anbieter von Fachinformationen der deutschsprachigen Länder aufgebaut werden. Ohne eine solche Zusammenarbeit kann weder der Index als Basis für die Suche entstehen noch gibt es Übergänge zu den eigentlichen Daten. Die größte Aufgabe beim Bau des Suchraums wird seine Einrichtung mit Datenbanken, Bibliografien und Webkatalogen sein. Dabei müssen gleichzeitig die Bedürfnisse von Wissenschaftlern, Bibliotheken und kommerziellen Anbietern berücksichtigt werden. Dieses Ziel wird nicht schon innerhalb einiger Monate erreicht, doch die Grundlagen wurden bereits vom hbz gelegt. Der Aufbruch in den Suchraum ist eine lohnende Aufgabe für die Bibliotheken und Wissenschaftsorganisationen: Am Ende steht eine wissenschaftliche Suchmaschine, die alle wichtigen und nützlichen Datenquellen erfasst."