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Berg, L.: Pablo will es wissen : Lernen mit Salman Khan (2012)
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- "East Palo Alto ist ein gefährlicher Ort. Baufällige Häuser, Vorgärten voller Müll und oft Schießereien auf offener Straße. Hier, fünfzig Kilometer von San Francisco entfernt, leben Immigranten aus Mexiko und viele verarmte schwarze Familien. Wer einen Job hat, arbeitet als Handlanger oder Hausmädchen für die Reichen im nahe gelegenen Silicon Valley. Die wohnen in den Villen um die Eliteuniversität Stanford oder bei den Zentralen von Apple, Google und anderen Weltfirmen. Früher gab es in East Palo Alto keine weiterführende Schule. Wer die High School besuchte, wurde im Bus in die besseren Viertel gebracht. Aber dann wurde Mitte der Neunzigerjahre die Eastside Preparatory School eröffnet, mitten im sozialen Brennpunkt. Es ist eine kleine, propere Anlage mit einstöckigen Gebäuden, die im Karree um eine Rasenfläche stehen. Gleich hinter der Eingangstür liegt das freundlich eingerichtete Büro der Schulsekretärin. Am Morgen begrüßt sie jedes der rund dreihundert Kinder und macht dann auch gleich einen Strich in der Anwesenheitsliste. Die Eastside Prep, so der Kurzname, ist eine private Ganztagsschule, die sich vorwiegend aus Spenden finanziert und die nur Kinder aus Familien aufnimmt, in denen es bisher noch niemand auf ein College geschafft hat. Es ist eine besondere Schule, mit kleinen Klassen, individueller Förderung und idealistischen Lehrern. Für die Schüler ist sie ein Sprungbrett in ein besseres Leben, und schon Tausende haben ihre Chance genutzt.
Vier Schüler an einem Tisch Der vierzehnjährige Pablo ist fest entschlossen, etwas aus seinem Leben zu machen. Das wollen auch seine Eltern. Sie sind aus Mexiko in die USA gezogen, um ihren drei Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Pablo will Software-Ingenieur werden, denn das ist ein sicherer Beruf mit Prestige und gutem Gehalt. Er ist ein ernster Junge, und er weiß, dass er einen langen Weg vor sich hat: erst die High School, dann das College und vielleicht sogar ein Studium auf der Universität. Zum Glück ist er sehr gut in der Schule, vor allem in Mathe. Immer wieder kommen Mitschüler zu ihm und suchen seinen Rat. Die Tische im Klassenraum sind so angeordnet, dass jeweils vier Schüler zusammensitzen, einige Kinder schreiben in ihre Hefte, andere arbeiten an Netbooks, die die Schule zur Verfügung stellt, in manchen Gruppen wird leise diskutiert. Die Lehrerin Jen Johnson, 32, sitzt mit zwei Schülern zusammen, sie üben quadratische Gleichungen. Die beiden haben den letzten Test nicht bestanden und brauchen jetzt Nachhilfe. Hin und wieder geht Jen zur Tafel und erklärt eine Aufgabe von allgemeiner Bedeutung, es folgt eine kurze Frage-Antwort-Runde, dann setzt sie sich wieder zu ihren Förderschülern. In ihrer Klasse ist es nicht zu laut und nicht zu leise, die Atmosphäre ist gelöst und doch ist konzentriertes Arbeiten möglich. Wie in einem schönen Café, an einem besonders guten Tag. Dass heute eine Besucherin dabei ist, scheint die Kinder nicht zu stören. Sie sind Gäste gewöhnt. Politiker waren schon bei ihnen, auch etliche Wissenschaftler. Könnte es sein, dass hier, im Umfeld des Silicon Valley, ein Zukunftsmodell zu besichtigen ist? Dass ausgerechnet in dieser schäbigen Gegend etwas entstanden ist, was Bildungsexperten für die Welt von morgen fordern: Schulen, in denen jedes Kind nach seiner Fasson gefördert wird und eigenständig lernen kann. Wo es nicht ums Aussortieren von Versagern, sondern um den Erfolg aller geht. Auch wenn sie eigentlich die geborenen Verlierer sind, wie die Kinder von East Palo Alto.
Filme von verblüffender Schlichtheit Seit Anfang des Schuljahres erproben Jen und ihre Kollegen eine neue Form des Online-Unterrichts. Sie arbeiten dabei mit der Khan Academy zusammen, einer rasch expandierenden Bildungseinrichtung mit Sitz in Mountain View, im Zentrum des Silicon Valley. Ihr Kapital sind mehr als dreitausend selbst produzierte Videos mit kurzen Lektionen, vor allem in Mathematik und in den Natur- und Wirtschaftswissenschaften. Anders als manch andere Nachhilfe im Internet ist die Khan Academy kostenlos: Die Videos stehen bei Youtube, jeder kann sie ohne Anmeldung nutzen. Die Filme sind von verblüffender Schlichtheit. Oft ist nur die gutturale Stimme von Salman Khan zu hören, einem Mittdreißiger, der einmal Hedgefonds-Manager gewesen ist und sein pädagogisches Talent entdeckt hat, als er seiner Cousine Nachhilfeunterricht in Mathematik gab. Zu sehen gibt es in seinen Videos nicht viel: Oft sind es bloß Zahlen, Zeichen und Formeln, die wie von Zauberhand geschrieben auf einer Tafel erscheinen. Aber Salman Khan kann wunderbar erklären. Und er widmet sich den Problemen der Addition ebenso hingebungsvoll wie der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Schritt für Schritt, mit trockenem Humor und bildhaften Beispielen. Etwa fünf Millionen Nutzer zählt die Academy pro Monat, Menschen aus mehr als zweihundert Ländern rufen die Seiten auf, deren Lektionen von Enthusiasten aus dem Englischen in die jeweiligen Landessprachen übersetzt werden - unter anderem ins Deutsche. Bisher hatten die Khan Academy und die traditionellen Schulen wenig miteinander zu tun, jetzt sollen die Videos in den Unterricht integriert werden. Davon verspricht sich die Bill-Gates-Stiftung, die das Projekt mit Millionensummen unterstützt, einen Qualitätsschub für Bildungseinrichtungen in aller Welt: Das Online-Curriculum aus dem Silicon Valley könnte Taktgeber und Messlatte sein, vor allem in ärmeren Ländern. Aber zunächst muss getestet werden, wie die Verzahnung mit dem Schulunterricht funktioniert. Zu diesem Zweck begann vor einem Jahr ein Großversuch in hundert Klassen im Großraum San Francisco. Die Eastside Prep ist mit dabei. Pablo, das Mathe-As, schätzt die Khan-Lektionen. "Wenn ich etwas vergessen habe, schaue ich mir das passende Video an, dann bin ich gleich wieder im Stoff." Seine Lehrerin verteilt zu Beginn jeder neuen Unterrichtseinheit selbst erarbeitete Mappen mit Aufgaben aus dem Lehrbuch und Hinweisen auf passende Khan-Videos. Auf diese Weise verknüpft sie den staatlichen Lehrplan mit dem Zusatzangebot im Internet.
Kaum schlechte Noten Auch die Filme enthalten Übungen, und die Schüler sind aufgefordert, diese während des Unterrichts zu absolvieren. Jen Johnson kann mit ihrem Laptop verfolgen, wie ihre Schüler abschneiden, und sie bemerkt sofort, dass Alexandro nicht mitkommt. "Ich werde morgen mit ihm arbeiten", sagt sie. "Früher hätte ich seine Probleme erst nach einer Fünf im Test erkannt." Schlechte Noten gebe es in diesem Schuljahr kaum. Vor der Klassenarbeit würden die Schüler an ihren Schwächen arbeiten - mit den Videos hätten sie ein gutes Werkzeug dafür. Die kompakte Form der Lektionen, die sofortige Rückmeldung bei Fehlern, all das kommt den Bedürfnissen einer Jugend, die mit dem Internet aufgewachsen ist, entgegen. Und was ist mit der Idee, die Online-Lektionen als alleiniges Lehrmittel einzusetzen? Das wäre nicht sinnvoll, heißt es an der Eastside Prep. Nach wie vor seien Lehrer nötig, um den Kurs vorzugeben und zu halten, zu motivieren und Hilfe zu leisten. Aber verzichten möchte an dieser Schule offenbar niemand mehr auf die Khan'sche Kollektion. Sie ist einfach zu gut, um Löcher zu stopfen. Mathematik, so sagt Salman Khan in seinen Vorträgen gern, Mathematik sei bei den meisten Menschen ein großer Emmentaler: Hier und da gibt es etwas Substanz, aber zwischendrin ist viel Luft. Und die Khan Academy, das sei die Verwandlung von Luft in Substanz. Akademische Alchemie sozusagen. Eine große Bühne bot sich dem Internetlehrer im vergangenen Jahr bei einem renommierten Online-Talk. Steve Jobs ist dort aufgetreten, Isabel Allende und Al Gore. Khans Beitrag inspirierte den deutschen Informatiker Sebastian Thrun dazu, das Konzept auf die Hochschulbildung zu übertragen (siehe nebenstehenden Beitrag). Die Khan Academy selbst konzentriert sich weiter auf die Schule und zwar mit Blick auf die ganze Welt. An dieser Stelle kommt Bilal Musharraf ins Spiel. Der introvertierte Mann fungiert sozusagen als Khans Außenminister. Mit 18 Jahren kam Bilal zum Studium in die USA - und ist geblieben. Sein Vater ist der ehemalige pakistanische Präsident General Pervez Musharraf, doch wenn die Rede auf seine Familie kommt, wird der Sohn einsilbig. Viel lieber spricht er über Entwicklungspolitik und wie wichtig es wäre, in Breitband-Internetverbindungen für Drittweltländer zu investieren, die dann für den Online-Unterricht genutzt werden könnten. Die Academy-Videos sind als Teil eines weltumspannenden Curriculums denkbar. Vorausgesetzt, dass die versprochenen Fördermittel fließen, werden die Kurse bald komplett in die zehn wichtigsten Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche. Denn East Palo Alto gibt es überall. Zum Glück auch Lehrer wie Jen Johnsonund Kinder wie Pablo."
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Berg, L.: Wie das Internet die Gesellschaft verändert : Google gründet ein Forschungsinstitut in Berlin (2011)
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- "Vor zehn Jahren kannten nur Eingeweihte die Suchmaschine Google, heute ist das Googeln so selbstverständlich wie Kaffeetrinken. Am Aufstieg des kalifornischen Unternehmens ist ablesbar, wie sehr das Internet die Gesellschaft durchdrungen hat. Verändert hat sich aber auch das Image der US -amerikanischen Firma. Bis vor wenigen Jahren weckte der Name die Vorstellung von cleveren Computerfreaks, die der Welt freundlicherweise einen Weg durch den Informationsdschungel bahnen. Spätestens seit der Debatte um den Online-Straßenatlas Street View ist das Bild nicht mehr so positiv: Viele fürchten jetzt die unersättliche, machtbesessene Datenkrake. Besonders heftig war der Protest gegen Street View in Deutschland. Just hierzulande, in Berlin, fördert der Marktführer unter den Internet-Suchmaschinen nun den Aufbau eines sozial- wissenschaftlichen Forschungsinstituts, in dem es um "Internet und Gesellschaft" gehen soll. Eric Schmidt, der Ex-Vorstandsvorsitzende von Google, hatte die Gründung im Februar bei einem Vortrag an der Humboldt-Universität (HU) angekündigt. Im Senatssaal der Universität wurde das Projekt gestern bei einer sehr gut besuchten Pressekonferenz näher vorgestellt. Der ehemalige Google-Chef war nicht mehr angereist. Er grüßte aber per Videobotschaft und betonte, dass das neue Institut völlig unabhängig von Google arbeiten werde. Sein Unternehmen habe lediglich die Initiative ergriffen und stelle Geld bereit.
Getragen wird das neue Forschungszentrum von den drei Berliner Institutionen Humboldt-Universität, Universität der Künste (UDK) und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Kooperationspartner ist das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg. Google Deutschland fördert das Projekt mit insgesamt 4,5 Millionen Euro zur Verfügung, in drei jährlichen Tranchen von je 1,5 Millionen Euro. Nach weiteren Kooperationspartnern und Finanziers wolle man suchen, hieß es auf der Pressekonferenz. Auch bei den beiden anderen Berliner Universitäten, Freie Universität und Technische Universität, sehe man "Andockstellen". - Unis und WZB als Träger Untergebracht wird das neue Institut in der Juristischen Fakultät der HU. Dort sind Büros für ein insgesamt zehnköpfiges Kernteam vorgesehen: für vier Direktoren, vier Mitarbeiter und zwei Geschäftsführer. Geplant ist auch die Gründung einer Graduate School, zunächst mit zwei Stellen für Doktoranden und weiteren Positionen für Postdoktoranden. Offizieller Arbeitsbeginn ist im Herbst, nach dem Auftakt mit einem internationalen Symposium über die sozialen Aspekte des Internets vom 25. bis 28. Oktober in Berlin. "Berlin ist die digitale Hauptstadt Deutschlands", begründete der Google-Sprecher Ralf Bremer die Standortwahl. Beeindruckend sei die Fülle von Startup-Unternehmen im Bereich der elektronischen Medien.
Google pflege weltweit viele akademische Partnerschaften, allerdings fast ausnahmslos zu Fragen der Informationstechnik. Die Förderung eines sozialwissenschaftlichen Instituts sei für seine Firma ein Novum, betonte Bremer. Die Wahl sei auf Berlin gefallen, weil es hier sehr viel Kompetenz auf diesem Gebiet gebe. - Kreatives Schwarmverhalten An Ideen für künftige Projekte mangelt es nicht, das zeigten die Beiträge der künftigen Direktoren des Instituts auf der Pressekonferenz. Der HU-Rechtswissenschaftler Ingolf Pernice will zum Beispiel untersuchen, ob die Vorstellung vom Staat sich durch das Internet verändert. Eine fast ver- gessene Utopie, die globale Verfassung, sei durch das weltweite Netz wieder in den Bereich des Möglichen gerückt, sagte Pernice. Thomas Schildhauer, Informatiker an der Universität der Künste, möchte das kreative Schwarm- verhalten ausloten. Er berichtete vom 300-Dollar-Haus , das im Internet gemeinschaftlich für Krisengebiete entwickelt wird. Schildhauer sucht überdies nach Wegen, um die drohende Spaltung der Gesellschaft in Computerkundige und digitale Analphabeten zu verhindern.
Auch der Jurist Wolfgang Schulz vom Hamburger Hans-Bredow-Institut interessiert sich für die Schwarmintelligenz: Warum nicht die Weisheit der Massen nutzen und Patente ins Internet stellen, um ihre Neuheit zu prüfen, schlug er vor. Die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann vom WZB beschäftigt sich bereits seit 15 Jahren wissenschaftlich mit dem Internet. Ihr geht es um die Regeln, die das Internet bestimmen - um technische Standards, aber auch um soziale Gepflogenheiten und kulturelle Normen. Mit den Mitteln des neuen Instituts will Jeanette Hofmann die Zukunft des Internets erforschen und dabei auch Fragen des Datenschutzes behandeln. Im Oktober, beim Symposium, sollen die Projektideen mit Kollegen aus aller Welt diskutiert werden. Um Doppelarbeit zu vermeiden, will man sich mit den führenden Einrichtungen auf diesem Gebiet abstimmen, etwa dem Berkman Center an der Harvard University und dem Oxford Internet Institute. Die Ergebnisse des neuen Berliner Instituts seien nicht für Google reserviert - "sie werden frei zugänglich im Internet publiziert", kündigte die WZB Chefin Jutta Allmendinger an. Das Engagement des Unternehmens sei lobenswert und es halte sich völlig aus der inhaltlichen Arbeit heraus: "Sonst hätten wir nicht mitgemacht.""
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Berg, L.; Metzner, J.; Thrun, S.: Studieren im Netz - Das Ende der Uni? : Kostenloser Online-Unterricht (2012)
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- Abstract
- Wird das Internet die Uni ablösen? Wird bald nur noch online gelehrt und gelernt? Professor Sebastian Thrun von der Universität Stanford und Chef bei Google X sagt, in 50 Jahren gibt es weltweit nur noch zehn Universitäten. Professor Joachim Metzner hält dagegen
- Content
- "Pro - (Prof. Sebastian Thrun) An der kalifornischen Elite-Universität Stanford studieren 15.000 junge Leute. Im vergangenen Herbst kamen auf einen Schlag 160.000 Studierende hinzu, allerdings nur online. Die private Hochschule hatte erstmals ein Einführungsseminar für das Fach Künstliche Intelligenz ins Internet gestellt, in schlichter Aufmachung, aber kostenlos und für alle Welt zugänglich. Mit einem derart gewaltigen Ansturm hatte niemand in Stanford gerechnet, die Nachricht von dem kostenlosen Informatikkurs verbreitete sich praktisch in Echtzeit um den Globus. Zwei Drittel der Anmeldungen kamen aus Asien und Europa, insgesamt zählten die Organisatoren Interessenten aus 190 Ländern. Es waren viele junge Leute dabei, aber auch Hausfrauen mit kleinen Kindern und achtzigjährige Rentner. Wer das Angebot aufmerksam gelesen hatten, wusste, was auf sie zukam: ein achtwöchiger Kurs mit Vorlesungen, Hausaufgaben, jede Woche ein benoteter Test und ein Abschlussexamen - gleiche Anforderungen also wie im Live-Kurs, der parallel dazu für rund zweihundert Studierende auf dem Campus stattfand. Nur dreißig Leute im Seminar Ein Stanford-Zertifikat wurde nicht in Aussicht gestellt, nur eine Art Teilnahmebestätigung für alle, die bis zum Ende durchhielten. Rund 23.000 Teilnehmer schafften die schwere Prüfung am Ende des Kurses. "Zum Schluss saßen in meinem Seminar in Stanford nur noch dreißig Leute", sagt der in Solingen geborene Kursleiter Sebastian Thrun. "Die anderen bevorzugten den Online-Unterricht, vor allem wegen der größeren zeitlichen und räumlichen Flexibilität." Das habe ihn besonders beeindruckt.
Die Idee, seinen Präsenzkurs speziell aufbereitet ins Internet zu stellen, kam ihm im vergangenen Jahr, als er die Arbeit von Salman Khan kennenlernte. Dieser wendet sich mit seiner Video-Bibliothek vor allem an Schüler (siehe nebenstehende Reportage). Nun, nach dem Erfolg des Stanford-Experiments, sieht Sebastian Thrun einen Epochenwechsel heraufziehen. Er sagt das Ende der Universität, wie wir sie kennen, voraus. "In fünfzig Jahren wird es weltweit nur noch zehn Institutionen geben, die akademische Bildung vermitteln." Der jugendlich wirkende Informatikprofessor sitzt auf einer Parkbank am sogenannten Oval, einer großen Rasenfläche am Haupteingang von Stanford. Er spricht schnell, fröstelt. Seit Wochen bekommt er nicht genug Schlaf, zu viele Projekte. Als das Gespräch auf seine Studienzeit in Deutschland kommt - die späten Achtzigerjahre - wird er nicht etwa nostalgisch. Denn er hat keine guten Erinnerungen: Professoren, die veralteten Stoff lieblos vermittelten, überfüllte Lehrveranstaltungen, zu wenig Diskussion. Fragen aus der Praxis "Die Professoren waren unnahbar, es ging ihnen oft nur darum, Studenten abzuwimmeln." Sebastian Thrun hat es dennoch geschafft: Zuerst als Stanford-Professor, jetzt als Chef bei Google X, einem Labor, in dem der Suchmaschinen-Konzern zum Beispiel fahrerlose Fahrzeuge entwickelt. Nebenher baut er das Projekt Udacity auf, eine digitale Universität, die kostenlose Online-Kurse anbietet. Zunächst in den Computerwissenschaften, später sollen Angebote in den Ingenieurwissenschaften, Physik und Chemie folgen. Thruns Vision sind dynamische, interaktive Videos, nicht nur zu abstrakten Themen, sondern zu Fragen aus der Praxis.
Wie entwickle ich eine Computer-App zum Beispiel. Oft würden solche Fragen von talentierten Menschen aus armen Ländern gestellt, die sich mit dem Wissen eine Existenz aufbauen wollten. Ihnen die richtigen Antworten zu geben sei besser als Entwicklungshilfe, findet Thrun. Udacity könne die Welt zum Besseren verändern, und deshalb müsse das Angebot kostenlos bleiben. Die meisten Universitäten schlafen noch Im Sommersemester gibt der Forschungsleiter von Google, Peter Norvig, ein Seminar zur Gestaltung von Software, andere namhafte Experten von Hochschulen aus dem angloamerikanischen Raum bieten Kurse über Programmiersprachen oder Kryptografie an. Mit dem Stanford-Image kann Thrun, der sich als Professor hat beurlauben lassen, nur noch indirekt punkten. Und Geld hat er von dort auch nicht mehr zu erwarten. Aber, wer weiß, vielleicht springt ja eines Tages sein neuer Arbeitgeber ein. Bis dahin tragen einige Weltfirmen zur Finanzierung bei: Sie zahlen für die Vermittlung besonders fähiger Absolventen. Unterdessen zieht die Konkurrenz nach. Weitere Stanford-Professoren bieten kostenlose Online-Kurse an und auch das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) an der Ostküste des Landes hat eine digitale Initiative namens MITx angekündigt. Die Teilnahme soll kostenlos sein, aber für das Abschlusszertifikat ist eine Gebühr zu entrichten. Diese Aktivitäten seien Ausnahmen, sagt Thrun: Die meisten Universitäten schlafen noch."
Contra - (Prof. Joachim Metzner) Erleben wir mit der Gründung von Udacity wirklich die kühne revolutionäre Zeitenwende im Bildungswesen, den beginnenden Untergang der herkömmlichen Institution Hochschule? Längst hat sich doch, auch in Deutschland, das e-learning seinen Platz erobert. Es gibt kaum noch eine Hochschule, die nicht über entsprechende Angebote verfügt. Die Reform der Lehre ist trotz überfüllter Hörsäle in vollem Gange, auch dank der Social Media. Das erwartet die heutige Generation der Studierenden, und diese Erwartung wird sich noch verstärken. Aber für Sebastian Thrun wird der virtuelle Raum ja den Hörsaal ablösen. Doch wird er das wirklich? Campus als Herzstück der Hochschule Die Präsidentin des Massachusetts Institute of Technology, Susan Hockfield, ist da anderer Meinung: Trotz aller Online-Möglichkeiten, sagt sie, bleibt der reale Campus das Herzstück der Hochschule. Sie weiß, dass die Studierenden zwar die Freiheiten schätzen, die das Internet bietet, aber mindestens ebenso sehr das reale Zusammensein - sei es im Seminarraum, sei es auf der Wiese oder in der Kneipe. Dass zahlreiche Online-Kurse kostenlos nutzbar sind, ist faszinierend und eröffnet riesige soziale Chancen. Doch werfen solche Kurse immense Gewinne ab, wenn der Anbieter dies will. Jeder Nutzer erzeugt ja, quasi als Testperson, Massen an wertvollen Daten, die Auskunft geben über Interessen und Nutzungsverhalten. Als kostenloser Anbieter kann man aus solchen Informationen Premiumangebote ableiten, die für viel Geld verkäuflich sind.
Abschluss nicht kostenlos zu haben Wohl nicht zufällig führen Online-Kurse meist auch nur zu Abschlusszertifikaten, die den Wunsch nach einem echten Hochschulabschluss wecken. Der ist natürlich nicht kostenlos zu haben, jedenfalls nicht in den USA, dem Wunderland des Studierens via Internet. Niemand sollte die Chancen, die das Internet Studierenden eröffnet, kleinreden und den begeisterten Architekten virtueller Hochschulen die guten Absichten absprechen. Aber hat nicht die Auseinandersetzung um Google Street View gezeigt, welche Datenmassen buchstäblich en passant erzeugt werden und anderweitig verwertbar sind? Sebastian Thrun ist einer der Entwickler dieses Programms, man sollte ihm nicht unkritisch begegnen. Seine Prognose, dass sich bald nur noch zehn Anbieter von Studiengängen den Bildungsmarkt weltweit aufteilen werden, lässt da aufhorchen. Vermutlich glaubt er, einer stehe schon fest."