Arlt, H.-J.; Prange, C.: Gut, dass wir gesprochen haben : Im Reformprozess von Organisationen kommt der Kommunikation eine Schlüsselrolle zu (2005)
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- Abstract
- In Reformprozessen kommt der Kommunikation ein besonderer Wert zu. Auch Organisationen müssen nun mehr Wert darauf legen, ihre Abteilungen und Zellen zu informieren und einzubinden. Die Strategie "Erfolg durch Ignoranz" funktioniert nicht mehr.
- Content
- "Solange einer alles selbst, macht, braucht er, sich nicht zu verständigen. Soll eine etwas für die andere tun, wollen mehrere etwas zusammenunternehmen, ist aber Kommunikation angesagt. Wir benutzen Lebensmittel, Verkehrsmittel, Arzneimittel und auch Kommunikations-, besser: Verständigungsmittel. Organisationen sind eingefrorene Verständigungen darüber, wer was zu erledigen und zu unterlassen hat. Die Organisation setzt gegen Verständigungsprozesse und Allzuständigkeiten die Routine und arbeitsteilige Spezialisierung durch. Das Schmerz- und Verlustempfinden, das beim Übergang von ei ner politischen Bewegung in eine Organisation artikuliert wird - die Grünen sind ein junges und schönes Beispiel -, beruft sich genau auf diese Minimierung der Kommunikationschancen: Stand vorher so ziemlich alles jeder Zeit zur Disposition, konnte vorher jede und jeder gleichberechtigt über das Große und Ganze ebenso wie über das konkrete Einzelne reden, so steht plötzlich - für die Organisation - das Meiste fest, sind jede Menge Tätigkeiten auf Dauer gestellt und die Zuständigen wollen nicht mehr mit jedem, sondern nur noch mit anderen Zuständigen reden. Organisationen reduzieren den Kommunikationsbedarf für kollektives Handeln, das ist ihr Vorteil, ihr Gebrauchswert. Wo Dialoge waren, liegen Formulare rum. Aus erlebtem Miteinander wird funktionales Nebeneinander. Organisiertes Handeln wird damit zugleich strukturkonservativ denn worüber nicht geredet wird, das wird auch nicht in Frage gestellt. Nun ist es in den modernen Marktgesellschaften mit Routine alleine nie getan gewesen. Besonders die Profit-Organisationen sind ständig mit neuem konfrontiert - ob positiv als Fortschritt, neutral als Entwickung oder negativ als Krise erlebt. Deshalb gehören jenseits der prinzipiell verringerten Kommunikation Information und Koordination zum laufenden Geschäft: Dauernd sitzt man in irgendwelchen Besprechungen. Wie die Kommunikation innerhalb von Organisationen so zu steu ern ist, dass Verständigung nicht zum Zeitdieb wird, alle Beteiligten gleichwohl das Gefühl haben, gut informiert zu sein und reibungslose Zugänge zu benötigtem Wissen zu haben, ohne zu vergessen, dass Wissen Macht ist - diese Rezepte füllen ganze Bücherregale. Die Klagen über keine, zu wenige, unbrauchbare, überflüssige, viel zu viele Informationen sind ein Evergreen im Alltag von Organisationen. Was manche Beteiligte als "Kommunikationsersparnis" loben, kritisieren andere als Informationsdefizit; der Mitteilungsbedarf von x ist das Störungspotenzial für y. Aber nicht nur die Beziehungen untereinander, die einzelnen Personen befinden sich selbst in einem widersprüchlichen Zustand der Unzufriedenheit. Als interessierte und engagierte Menschen haben sie das Gefühl zu wenig mitzubekammen, als. spezialisierte Stelleninhaber sehen sie sich mit Mitteilungen zugeschüttet,die sie nicht brauchen können. Organisationen geraten dann in Stress, wenn sie ihrer eigentlichen Funktion - den Verständigungsaufwand zu verringern - zuwiderhandeln müssen. Der Stress steigt mit der Veränderungsdynamik der Umwelt. Seit Ende des 20. Jahrhunderts befinden sich Organisationen unter Dauerstress. Den bisherigen Rhythmus von Beschleunigung und Beruhigung, von Reform und wieder "in Form sein" hat eine Kontinuität des Diskontinuierlichen abgelöst. Das vorsichtige Austauschen alter, stabiler Verhältnisse gegen neues, sich stabilisierendes Verhalten - das sind Reformprozesse, wie sie im 19. und 20. Jahrhundert alle Organisationen irgendwie hinbekommen haben.
Erfolg durch Ignoranz? Die gegenwärtige Zumutung besteht gerade darin, das Verhalten ständig offen und überprüfbar zu lassen für Kommunikationen, die es verändern könnten. Soziologen bezeichnen dies als "reflexive Modernisierung". Daraus wächst an die Organisationen die Anforderung, mehr Wert auf Kommunikation zu legen, aus Abteilungen, aus Zellen Möglichkeitsräume zu machen. Aus der Kommunikationsperspektive bedeuten der unternehmerische Herr-im-Haus-Standpunkt und die politische Maxime "Einigkeit macht stark" das gleiche: Erfolg durch Ignoranz. Was nicht zur Debatte steht, wird nicht geöffnet für die Entscheidung: Zustimmung oder Ablehnung. Da niemand alles berücksichtigen kann, da Endlosdebatten bessere Entscheidungen nicht garantieren, sind die Anteile von; Ignoranz, Information und Reflexion am Erfolg für Organisationen nicht leicht zu bestimmen. Klar ist nur, die Konsequenzen vermehrter Kommunikationsmöglichkeiten reichen weit und die meisten Organisationen sind unglücklich, weil ihre gewohnte Praxis ebenso offensichtlich defizitär wie jede Umstellung riskant ist. Die schlechteste Möglichkeit scheint zu sein, die Angst siegen zu lassen, denn Organisationen, die sich nicht aus eigener Kraft rekonstruieren, werden von externen Kräften destruiert. Die Beziehung der Zentrale zu den Dezentralen, das Verhältnis zwischen Standardaufgaben und Projekten, die Gewichte zwischen Kontrolle und Eigenverantwortung, die Anteile von Stabilität und Flexibilität, der Zusammenhang von Fakten und Visionen, so vieles muss rekontruiert und austariert werden. Und dabei ist an der Vorstellung eines vorübergehenden Gleichgewichts nur noch das Vorübergehende realistisch. Deshalb wird, Steuerung inzwischen häufig als "Change Management" bezeichnet. Genau besehen nur einanderes Wort für Kommunikationsmanagement. Dass sich alle Kommunikationen einer Organisation "managen" lassen, ist eine absurde Vorstellung. Schon intern bildet sich aus formellen Dienstwegen, den kreuz und quer verlaufenden Schleichwegen von Seilschaften, den gemütlichen Plauderplätzen für Gerüchte ein undurchdringlicher Dschungel. Nach außen zu den verschiedenen Anspruchsgruppen und Öffentlichkeiten wird es gänzlich unübersichtlichtrotz durchdachter Kampagnen, gepflegter Journalisten- und Kundenkontakte, sorgfältig eingefädelter Lobby-Aktivitäten. Die vornehmste Aufgabe des Kommunikationsmanagements besteht darin, FeedbackSchleifen zu organisieren. Reflexive Qualität gewinnt dabei nur solche Kommunikation, die interne und externe Reaktionen auf Organisationsentscheidungen offiziell zum Thema und dabei nicht die Kritiker, sondern die eigene Entscheidung zum Problem macht. Beschreibungen der eigenen Ignoranz nicht zu ignorieren, darf als das kommunikative Minimum jeder Organisation gelten, die eine Zukunft haben will."
- Footnote
- Bezugnahme auf die Bücher: Schick, Siegfried: Interne Unternehmenskommunikation. Strategien entwickeln, Strukturen schaffen, Prozesse steuern. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2005, 221 S. Dehner, Ulrich: Die alltäglichen Spielchen im Büro. Wie Sie Zeit- und Nervenfresser erkennen und wirksam dagegen vorgehen. Piper, München 2003, 230 S. Miller, Reinhold: Das istja wieder typisch. 25 Trainingsbausteine für gelungene Kommunikation in der Schule, Beltz Praxis, Weinheim 2004, 184 S.